Genre: Ist das Literatur? Ist das “Genre”?

Wenn ein Roman mit Feen beginnt und mit einem Kuss endet, ist das dann große Literatur - oder „nur“ ein Genrebuch?

Diese Frage klingt vielleicht erst mal theoretisch. Aber sie steckt in so vielen Kommentaren, Rezensionen und Feuilleton-Schlagzeilen, dass sie unser Leseverhalten mehr beeinflusst, als wir denken. Und, ganz ehrlich: Ich denke schon lange darüber nach.

Denn gerade jetzt, wo Romance, New Adult und Romantasy von BookTok in die Wohnzimmer gespült werden, kocht eine alte Debatte wieder hoch: Was ist eigentlich Literatur - und darf sie unterhaltsam sein?

Inhalt: Genre-Bücher vs. "Literatur"

    Hier gibt es meine Gedanken dazu auch als Podcast:

     

    Literatur mit Plot - OMG, darf sie das?

    Viele Menschen - vor allem aus dem akademischen Kontext - unterscheiden immer noch zwischen „literarisch“ und „Genre“. Die erste Kategorie klingt nach Preisen, Feuilleton und Uni-Seminaren. Die zweite nach Bestseller-Regal, rosa Cover und vielleicht einem kleinen Augenrollen (bestimmter Leute).

    Dabei ist diese Einteilung oft willkürlich. Denn so viele Romane, die unter „Genre“ laufen, erzählen mitreißender, poetischer und tiefgründiger als manches „literarische“ Werk - sie haben nur einen Plot. Und das scheint manchmal schon zu reichen, um in die Schublade der Unterhaltungsliteratur zu rutschen. “Unterhaltungsliteratur” ist in vielen Kreisen tatsächlich kein allzu gern gesehener Begriff…

    Aber warum eigentlich? Wann ist ein Roman weniger wert, nur weil er einer Struktur folgt?

    Ich habe zuletzt einige Bücher gelesen, die mich komplett umgehauen haben - emotional, stilistisch, gedanklich. Und doch würden viele sie nie als „literarisch“ einstufen, weil sie sich nicht gegen bekannte Muster verwehren, sondern sie geradezu zelebrieren. 

    Und ich frage mich: Ist das nicht auch eine Form von Kunst?


    Genre als Gatekeeping?

    Natürlich brauchen wir im Buchladen Orientierung. Zwischen Lavendelblüten-Roman und dystopischem Thriller liegen Welten - und genau das macht das visuelle Genre-Marketing ja auch so effektiv.

    Aber was passiert, wenn diese Kategorisierungen so fest werden, dass sie Geschichten einsperren?

    Viele Verlage arbeiten mit festen Genre-Grenzen. Und das hat auch mit Verkaufslogik zu tun. Leser*innen greifen eher zu, wenn sie wissen, was sie erwartet. Gleichzeitig - und das ist das Spannende - entstehen gerade im Selfpublishing und in der US-amerikanischen Buchszene Werke, die sich nicht mehr einordnen lassen. Literarische Fantasy. Philosophische Thriller. Romantische Sci-Fi mit politischem Tiefgang.

    Ein Beispiel, das ich besonders faszinierend finde: der neue Verlag 831 Stories. Die nennen sich selbst eine „Romantic Fiction Company“ - und brechen bewusst mit den visuellen Konventionen. Keine Gesichter, keine Blumen, keine glänzenden Goldprägungen. Stattdessen: grafisch designte Cover, geometrische Formen, zwei bis drei Farben, Engelchen in minimalistischer Illustration. Der Look ist mehr Indie-Design-Ausstellung als „klassischer Romance“. Und genau das macht neugierig.

    Man schaut drauf und fragt sich: Was ist das denn für ein Buch? - und ist vielleicht schon ein bisschen verliebt, bevor man den Klappentext liest.

    Ich glaube, dass in den nächsten Jahren einige mehr solcher Bücher erscheinen werden - beziehungsweise gibt es sie schon haufenweise, aber sie beugen sich auch den Konventionen.

    Außerdem kann man natürlich argumentieren, dass ein Buchmarkt, in dem immer mehr und mehr und mehr Bücher erscheinen, natürlich NOCH mehr Orientierung und NOCH klarere Genre-Grenzen braucht. 

     
     

    Camp, Pop, Genre - und was Susan Sontag damit zu tun hat

    Die Kulturwissenschaftlerin Susan Sontag hat schon in den 60ern das Konzept „Camp“ beschrieben: die Liebe zum Übertriebenen, zum Populären, zum Stilisierten. Und ehrlich - ist das nicht auch das, was viele Genre-Romane ausmacht?

    Gerade Romantasy lebt davon. Sichtbare Tropes, starke Gefühle, Magie, Liebe, Konflikt - und ja, auch „Spice“, Book Boyfriends oder Shadow Daddies. Und trotzdem steckt in vielen dieser Bücher eine erzählerische Tiefe, die sich vor keinem literarischen Werk verstecken muss. Im Gegenteil. Sie hauen die Leute gerade zu um.

    Vielleicht ist es also an der Zeit, Genre nicht mehr als Gegenteil von Literatur zu sehen. Sondern als literarisches Spiel mit Konventionen, als Einladung zur Emotion, als neue Form von Storytelling.

    Denn wer sagt eigentlich, dass nur das Schwierige und Abstrakte wertvoll ist? Vielleicht ist ja das Sichtbare, Greifbare, Gefühlvolle genau das, was wir gerade brauchen.

    Die Zahlen zeigen auf jeden Fall, dass es ABSOLUT das ist, was alle gerade brauchen.

     

    Vor allem “Young Adult” und Romance-Bücher kommen in der klassischen Literaturkritik oft nicht gut weg…

    Kann ein Buch, das sich gut an Strand oder See lesen lässt, “Hochliteratur” sein? Und MUSS es das überhaupt?

     

    Genreliteratur vs. “Literatur”: Die Zukunft ist hybrid

    Was wir gerade erleben, ist ein literarischer Umbruch - und ich persönlich finde es mega! Cover-Designs werden mutiger und lassen sich auch aus anderen Ländern stärker inspirieren. Genregrenzen verschwimmen. Leserinnen feiern Bücher, die sich nicht entscheiden müssen zwischen Stil und Spannung.

    Ich sehe es auch an mir selbst: Die Bücher, die mich in letzter Zeit am meisten begeistert haben, sind oft Mischungen. Zwischen Tropes, Genres, Plotstrukturen. Da gibt es dann zum Beispiel keine klare Linie mehr zwischen Romantasy und literarischer Erzählung. Und das fühlt sich genau richtig an.

    Vielleicht erleben wir gerade eine Zeit, in der „literarisch“ selbst zu einem Genre wird - eins von vielen. (Ist es ja auch jetzt schon, sagen viele.) Und vielleicht liegt darin eine riesige Chance: Geschichten neu zu denken, neu zu erzählen, neu zu lesen.

    Ich werde dieses Thema in den nächsten Monaten weiter beobachten - und hoffentlich ein paar spannende Gesprächspartner*innen dazu im Romantastica Podcast begrüßen. Bis dahin: Lies, was dich bewegt. Ganz egal, wie es einsortiert ist.

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